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Weil er einen Anstecker mit fett durchgestrichenem Hakenkreuz trug, kam ein Tübinger Student vor Gericht und wurde am Ende freigesprochen. Stuttgarter Staatsanwälte piesacken trotzdem weiter Nazi-Gegner - zum Beispiel Punks, die Antifa-Symbole verschicken.
"Die wahren Punks sitzen doch in der Stuttgarter Staatsanwaltschaft." In seinem kleinen Büro in Winnenden bei Stuttgart sitzt Jürgen Kamm, 31, und lacht. Dabei ist ihm eher zum Weinen zumute. Seit letzten August ermitteln die Stuttgarter Staatsanwälte gegen den Geschäftsführer des Mailorderversands Nix Gut - wegen der Produktpalette: Als Punk und überzeugter Antifaschist vertreibt Kamm unter anderem Aufnäher, Buttons und T-Shirts mit durchgestrichenen oder zerbrochenen Hakenkreuzen.
Die Staatsanwaltschaft beanstandet die kleinen und großen Piktogramme. Sie vermutet einen Verstoß gegen § 86a des Strafgesetzbuches, der die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole verbietet und eigentlich gegen Rechtsradikale gerichtet ist. Doch die Staatsanwaltschaft reichte gegen den Nix Gut Versand Klage beim Landgericht Stuttgart ein. Sie sieht die Gefahr der Gewöhnung, wenn auch Demokraten die Zeichen als Ausdruck ihres Protestes verwenden.
Paragraf 86a trug bereits einem Tübinger Studenten zwei Prozesse ein. Der 22-Jährige hatte einen Button mit durchgestrichenem Hakenkreuz getragen - der Klassiker unter den Antifa-Symbolen. Zunächst sollte er eine Geldstrafe an die KZ-Gedenkstätte Buchenwald zahlen. Doch im März sprachen Tübinger Richter ihn frei, weil er "mit dem Symbol eindeutig seine antifaschistische Gesinnung zum Ausdruck gebracht hat".
Staatsanwaltschaft sucht Rechtssicherheit
Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft nimmt dennoch weiter Nazi-Gegner ins Visier. "Wir wollen das Hakenkreuz - auch in entstellter Form - nicht in der Öffentlichkeit sehen", sagte der leitende Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler SPIEGEL ONLINE. "Klar ist, dass die Träger solcher Symbole nichts mit Neonazis zu tun haben, doch wir verfolgen keine Meinungen, wir verfolgen Straftaten."
Dass er die Intention nicht beurteilen dürfe, sei der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln, weiß Häußler. "Wehret den Anfängen", wirbt er für seinen Standpunkt: Was, wenn Rechtsradikale die Symbole der Antifaschisten wiederum für eigene Zwecke missbrauchen? "Wir wissen, wir bestrafen die Falschen", so Häußler, "aber wir haben die Besorgnis, dass diese Kennzeichen, wenn sie massenhaft verwendet werden, sich in der Öffentlichkeit wieder einbürgern könnten."
Doch Häußler will das Thema nicht zu hoch hängen. "Meist werden die Verfahren wegen Geringfügigkeit wieder eingestellt, denn unser Ziel ist es nicht, Jugendliche, die diese Buttons tragen, über Gebühr zu bestrafen." Anders sieht er die Fälle von Jürgen Kamm und einem zweiten Händler. Hier wolle die Staatsanwaltschaft durch gerichtliche Klärung "Rechtssicherheit bekommen", betont Häußler.
Jürgen Kamm staunt da nur: Für ihn sind die Buttons eine deutliche Meinungsäußerung gegen den Faschismus und können auch durch böswillige Zeitgenossen nicht uminterpretiert werden. Seine Auffassung teilt der sächsische Verfassungsschutz, der in einer Broschüre zum Thema ausdrücklich Symbole wie das Hakenkreuz im Verbotsschild als unbedenklich einstuft.
Kokettieren Nazi-Opfer etwa mit Nazi-Symbolen?
"Angefangen hat alles vor etwa drei Jahren, als die erste Anzeige einging", erzählt Kamm. "Es gab eine Hausdurchsuchung, ein paar Wochen später kam die Mitteilung, dass die Sache erledigt sei." Umso erstaunter war Kamm, als im August 2005 abermals Polizisten vor der Tür standen. Acht Stunden lang durchsuchten sie Laden wie Privatwohnung und stellten Beweismaterial sicher. Seither lagern 30.000 Flyer, Kataloge zu Tausenden und rund 10.000 Nix-Gut-Artikel in der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft. Wert der beschlagnahmten Waren: über 10.000 Euro.
Werner Pfennig, Vorsitzender des Verband der Verfolgten des Naziregimes (VVN), ist über den Behördenkurs entsetzt. Während die Zahl rechtsextremer Straftaten im Südwesten steige, ärgert er sich, kümmerten sich Staatsanwälte um engagierte, überwiegend jugendliche Antifaschisten. Pfennig erzählt von zwei Polizeieinsätzen gegen den VVN im Rems-Murr-Kreis, bei denen nicht nur Infoblätter beschlagnahmt, sondern auch Polizeikessel um die Informationsstände gebildet worden seien: "Ein unglaublicher Vorgang, der durch nichts zu rechtfertigen ist." Der Beschwerde der Organisation gegen das Vorgehen und die Beschlagnahme wurde stattgegeben. "Was sich die Stuttgarter Staatsanwälte hier erlauben, ist schon einzigartig. Gerade dem VVN eine Koketterie mit den Symbolen der Peiniger zu unterstellen, ist absurd", zürnt Pfennig.
Ausnahmen sind das nicht. Etwa zwei Dutzend Fälle, schätzt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, landen pro Jahr auf den Tischen der Ermittler. Jüngstes Beispiel: Auf der Webseite eines Jugendzentrum in Welzheim nahe Stuttgart entdeckte die Polizei einen vermeintlichen Verstoß gegen den § 86a. Besonders pikant: Bei der Abbildung handelte es sich um ein offizielles Grünen-Plakat mit der Aufschrift "Nazis, nein Danke!"
Funkstille im Justizministerium
Das Vorgehen der Gesetzeshüter zeigt Wirkung. So zensierte der Kreisjugendring des Rems-Murr-Kreises unlängst seine Aktion "Denkanstoß": Um bei der Fußball-WM für mehr Toleranz zu werben, gestalteten Kinder und Jugendliche Bierdeckel, unter anderem mit durchgestrichenen Hakenkreuzen."Wir mussten leider auf die aktuell verschärfte Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart reagieren", so die Stellungnahme des Jugendrings. "Wir müssen die Kinder und Jugendlichen, die sich an unserem Wettbewerb beteiligt haben, schützen." Staatsanwalt Häußler sagt dazu: "Ich bin kein Pädagoge, aber warum Kinder lernen sollen, wie man ein Hakenkreuz malt, geht mir nicht in den Kopf."
Längst haben die Aktionen der Hakenkreuzjäger auch das politische Berlin erreicht. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Niels Annen und sein Fraktionskollege Sebastian Edathy, Vorsitzender des Innenausschusses, sparen nicht mit harten Worten. Das Verhalten der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, so ihr Fazit, schade dem gemeinsamen Kampf der Demokraten gegen Rechtsextremismus und Neonazis.
In Baden-Württembergs Justizministerium bleibt es indes still. Eine Weisung an die Juristen verbiete sich, so die offizielle Sprachregelung, da "keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es sich um eine schlechthin unvertretbare oder offenkundig falsche Rechtsauffassung handelt".
Für Jürgen Kamm ist die Funkstille im Ministerium unverständlich. Unter dem Motto "Wir lassen uns das Dagegen-Sein nicht verbieten" macht er öffentlich Druck. Erster Erfolg: Claudia Roth, Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, erstattete vor vier Wochen Selbstanzeige wegen Tragens eines Anti-Nazi-Buttons. Offiziell reagiert hat die Staatsanwaltschaft darauf noch nicht. Aber für Kamm sind solche Verbündete persönlich wichtig: "Denn zu Anfang konnte keiner glauben, dass diese Geschichte wahr ist."
Quelle: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,413443,00.html
"Die wahren Punks sitzen doch in der Stuttgarter Staatsanwaltschaft." In seinem kleinen Büro in Winnenden bei Stuttgart sitzt Jürgen Kamm, 31, und lacht. Dabei ist ihm eher zum Weinen zumute. Seit letzten August ermitteln die Stuttgarter Staatsanwälte gegen den Geschäftsführer des Mailorderversands Nix Gut - wegen der Produktpalette: Als Punk und überzeugter Antifaschist vertreibt Kamm unter anderem Aufnäher, Buttons und T-Shirts mit durchgestrichenen oder zerbrochenen Hakenkreuzen.
Die Staatsanwaltschaft beanstandet die kleinen und großen Piktogramme. Sie vermutet einen Verstoß gegen § 86a des Strafgesetzbuches, der die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole verbietet und eigentlich gegen Rechtsradikale gerichtet ist. Doch die Staatsanwaltschaft reichte gegen den Nix Gut Versand Klage beim Landgericht Stuttgart ein. Sie sieht die Gefahr der Gewöhnung, wenn auch Demokraten die Zeichen als Ausdruck ihres Protestes verwenden.
Paragraf 86a trug bereits einem Tübinger Studenten zwei Prozesse ein. Der 22-Jährige hatte einen Button mit durchgestrichenem Hakenkreuz getragen - der Klassiker unter den Antifa-Symbolen. Zunächst sollte er eine Geldstrafe an die KZ-Gedenkstätte Buchenwald zahlen. Doch im März sprachen Tübinger Richter ihn frei, weil er "mit dem Symbol eindeutig seine antifaschistische Gesinnung zum Ausdruck gebracht hat".
Staatsanwaltschaft sucht Rechtssicherheit
Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft nimmt dennoch weiter Nazi-Gegner ins Visier. "Wir wollen das Hakenkreuz - auch in entstellter Form - nicht in der Öffentlichkeit sehen", sagte der leitende Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler SPIEGEL ONLINE. "Klar ist, dass die Träger solcher Symbole nichts mit Neonazis zu tun haben, doch wir verfolgen keine Meinungen, wir verfolgen Straftaten."
Dass er die Intention nicht beurteilen dürfe, sei der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln, weiß Häußler. "Wehret den Anfängen", wirbt er für seinen Standpunkt: Was, wenn Rechtsradikale die Symbole der Antifaschisten wiederum für eigene Zwecke missbrauchen? "Wir wissen, wir bestrafen die Falschen", so Häußler, "aber wir haben die Besorgnis, dass diese Kennzeichen, wenn sie massenhaft verwendet werden, sich in der Öffentlichkeit wieder einbürgern könnten."
Doch Häußler will das Thema nicht zu hoch hängen. "Meist werden die Verfahren wegen Geringfügigkeit wieder eingestellt, denn unser Ziel ist es nicht, Jugendliche, die diese Buttons tragen, über Gebühr zu bestrafen." Anders sieht er die Fälle von Jürgen Kamm und einem zweiten Händler. Hier wolle die Staatsanwaltschaft durch gerichtliche Klärung "Rechtssicherheit bekommen", betont Häußler.
Jürgen Kamm staunt da nur: Für ihn sind die Buttons eine deutliche Meinungsäußerung gegen den Faschismus und können auch durch böswillige Zeitgenossen nicht uminterpretiert werden. Seine Auffassung teilt der sächsische Verfassungsschutz, der in einer Broschüre zum Thema ausdrücklich Symbole wie das Hakenkreuz im Verbotsschild als unbedenklich einstuft.
Kokettieren Nazi-Opfer etwa mit Nazi-Symbolen?
"Angefangen hat alles vor etwa drei Jahren, als die erste Anzeige einging", erzählt Kamm. "Es gab eine Hausdurchsuchung, ein paar Wochen später kam die Mitteilung, dass die Sache erledigt sei." Umso erstaunter war Kamm, als im August 2005 abermals Polizisten vor der Tür standen. Acht Stunden lang durchsuchten sie Laden wie Privatwohnung und stellten Beweismaterial sicher. Seither lagern 30.000 Flyer, Kataloge zu Tausenden und rund 10.000 Nix-Gut-Artikel in der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft. Wert der beschlagnahmten Waren: über 10.000 Euro.
Werner Pfennig, Vorsitzender des Verband der Verfolgten des Naziregimes (VVN), ist über den Behördenkurs entsetzt. Während die Zahl rechtsextremer Straftaten im Südwesten steige, ärgert er sich, kümmerten sich Staatsanwälte um engagierte, überwiegend jugendliche Antifaschisten. Pfennig erzählt von zwei Polizeieinsätzen gegen den VVN im Rems-Murr-Kreis, bei denen nicht nur Infoblätter beschlagnahmt, sondern auch Polizeikessel um die Informationsstände gebildet worden seien: "Ein unglaublicher Vorgang, der durch nichts zu rechtfertigen ist." Der Beschwerde der Organisation gegen das Vorgehen und die Beschlagnahme wurde stattgegeben. "Was sich die Stuttgarter Staatsanwälte hier erlauben, ist schon einzigartig. Gerade dem VVN eine Koketterie mit den Symbolen der Peiniger zu unterstellen, ist absurd", zürnt Pfennig.
Ausnahmen sind das nicht. Etwa zwei Dutzend Fälle, schätzt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, landen pro Jahr auf den Tischen der Ermittler. Jüngstes Beispiel: Auf der Webseite eines Jugendzentrum in Welzheim nahe Stuttgart entdeckte die Polizei einen vermeintlichen Verstoß gegen den § 86a. Besonders pikant: Bei der Abbildung handelte es sich um ein offizielles Grünen-Plakat mit der Aufschrift "Nazis, nein Danke!"
Funkstille im Justizministerium
Das Vorgehen der Gesetzeshüter zeigt Wirkung. So zensierte der Kreisjugendring des Rems-Murr-Kreises unlängst seine Aktion "Denkanstoß": Um bei der Fußball-WM für mehr Toleranz zu werben, gestalteten Kinder und Jugendliche Bierdeckel, unter anderem mit durchgestrichenen Hakenkreuzen."Wir mussten leider auf die aktuell verschärfte Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart reagieren", so die Stellungnahme des Jugendrings. "Wir müssen die Kinder und Jugendlichen, die sich an unserem Wettbewerb beteiligt haben, schützen." Staatsanwalt Häußler sagt dazu: "Ich bin kein Pädagoge, aber warum Kinder lernen sollen, wie man ein Hakenkreuz malt, geht mir nicht in den Kopf."
Längst haben die Aktionen der Hakenkreuzjäger auch das politische Berlin erreicht. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Niels Annen und sein Fraktionskollege Sebastian Edathy, Vorsitzender des Innenausschusses, sparen nicht mit harten Worten. Das Verhalten der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, so ihr Fazit, schade dem gemeinsamen Kampf der Demokraten gegen Rechtsextremismus und Neonazis.
In Baden-Württembergs Justizministerium bleibt es indes still. Eine Weisung an die Juristen verbiete sich, so die offizielle Sprachregelung, da "keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es sich um eine schlechthin unvertretbare oder offenkundig falsche Rechtsauffassung handelt".
Für Jürgen Kamm ist die Funkstille im Ministerium unverständlich. Unter dem Motto "Wir lassen uns das Dagegen-Sein nicht verbieten" macht er öffentlich Druck. Erster Erfolg: Claudia Roth, Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, erstattete vor vier Wochen Selbstanzeige wegen Tragens eines Anti-Nazi-Buttons. Offiziell reagiert hat die Staatsanwaltschaft darauf noch nicht. Aber für Kamm sind solche Verbündete persönlich wichtig: "Denn zu Anfang konnte keiner glauben, dass diese Geschichte wahr ist."
Quelle: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,413443,00.html